Warum ich Sozialdemokratin bin

Häufig werde ich danach gefragt, warum ich eigentlich Sozialdemokratin bin. Gerade in Zeiten wie diesen.

Ich habe die Entscheidung in die SPD einzutreten vor 35 Jahren gefällt. Am 22. Mai 1986. Das war der Sommer in dem der Reaktorunfall von Tschernobyl die politischen Diskussion bestimmte. Zukunftsängste, Umweltdiskussionen, Antiatomkraftdebatte… Es hätte nah gelegen, sich für die Grünen zu entscheiden. Die waren zu dieser Zeit eine junge dynamische Partei und in Hessen regierte die erste rot-grüne Koalition. Mein Vater, ein ehemaliger FDP Wähler, engagierte sich damals kommunal für die Grünen.

Meine Mutter und Großmutter hingegen waren Mitglieder der SPD. Ich war gerade 20, hatte Abitur, war neugierig auf die Welt und was sie für mich bereit halten würde. Ich wollte mitmischen und mich einmischen. Und ich wollte Teil sein von etwas Großem, von einer Idee, die nicht erst gestern geboren war, sondern die Welt verändert hat.
Einer Partei, die sich entschlossen gegen die Machtergreifung Hitlers gestellt hatte und als einzige im Reichstag gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz gestimmt hat. „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht!“ – bei diesen Worten von Otto Wels, mit denen er das Nein der Sozialdemokratie zum Ermächtigungsgesetz begründet hat, bekomme ich heute noch Gänsehaut.
Aber ausschlaggebend war letztlich etwas anderes. Es war die Rolle der Frau innerhalb der SPD. Schon 1891 im Erfurter Programm forderte die SPD die „Abschaffung aller Gesetze, welche die Frau in öffentlich- und privatrechtlicher Beziehung gegenüber dem Manne benachteiligen.“.

1908 wurde Luise Zietz als erste Frau in den Parteivorstand gewählt. Luise hieß auch meine Großmutter. Luise Zietz war Dienstmädchen, meine Großmutter der erste „Hauswirtschaftslehrling“ in Kassel.
Marie Juchacz, bis heute mein politisches Vorbild, ergriff als erste von Frauen und Männern gewählte Abgeordnete, in einem demokratischen Parlament in Deutschland das Wort.
Und dann ist da natürlich Dr. Elisabeth Selbert, die aus Kassel stammende „Mutter des Grundgesetzes“, deren kluger politischer Kampagne wir den Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ im Grundgesetz verdanken.
Die SPD ist eine Partei der starken Frauen, die sich nicht scheuen sich durchzusetzen. Auch wenn das bis heute nicht immer einfach ist: Sie ist die Partei, die es auch Mädchen aus Arbeiterfamilien ermöglichte sich weiterzubilden, zu studieren. So ein Mädchen war meine Mutter.

Sie ist darüber hinaus die Partei, die die Stadt, in der ich lebe und die ich liebe geprägt hat und zu einem Ort gemacht hat, an dem ich gerne lebe. Kassel ist meine Heimat.
In meiner jetzt 35jährigen Geschichte mit meiner Partei gab es viele Momente, in denen ich mit Entscheidungen und mit Trägern dieser Entscheidungen gehadert habe. Ich habe gestritten, gekämpft, gewonnen oder verloren. Ich habe mich empört, gelacht, geweint, gemeinsam Erfolge gefeiert und Niederlagen verkraftet. Die SPD hat mich geprägt. Vielleicht präge ich ja auch ein kleines bisschen die SPD.

Ich habe damals die richtige Entscheidung getroffen. Ich bin Sozialdemokratin. Im wahrsten Sinn des Wortes. Weil Demokratie für mich nur sozial funktioniert. Weil man Entscheidungen immer vom Rot her denken, auf ihre sozialen Auswirkungen überprüfen muss. Gerade in Zeiten wie diesen. Die Geschichte der SPD ist lang und wechselvoll und vor allem längst nicht zu Ende. Es gibt noch so viel zu tun. Also tun wir es!